TASMANIEN - FERNAB DER ZIVILISATION

Zum ersten mal seit meiner Ankunft regnet es in Strömen und ich finde endlich die Zeit einmal ein paar Zeilen zur ersten Woche hier in Tasmanien zu schreiben. Die ersten 7 Tage auf dieser Trauminsel waren so intensiv, dass ich kaum weiss, wo ich beginnen soll.

Beginnen wir einmal mal mit den Fakten. Meine Idee war es, mit einem Minibus-Camper für 2.5 Wochen Tasmanien zu erkunden, mit dem Ziel, in naher Zukunft eine Fotoreise hierhin anbieten zu können. Schon jetzt habe ich so viele Punkte gefunden und erfasst, dass ich alleine damit 2 Wochen problemlos füllen könnte. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich jedoch ein Land total unterschätzt. Bei meiner Vorbereitung zuhause war mir effektiv nicht bewusst, wie viel diese Insel zu bieten hat. Man liest nur Wälder, Stände, Berge aber Tasmanien ist viel mehr als das. Innerhalb von diesen 7 Nächten habe ich nur gerade 2 Nächte wirklich im Camper verbracht, den Rest im Zelt, teilweise 10 Stunden entfernt von der nächsten Strasse. Warum? Ganz einfach. Abgesehen von einigen giftigen Tieren (gestern Abend kurz vor Ende der Wanderung ist mir eine wunderschöne aber hochgiftige Tigerschlange vor den Füssen über den Weg gekrochen) gibt es hier in Tasmanien nichts, das man fürchten muss.

Tierwelt
Beginnen wir mit den Tieren, die auf Tasmanien leben. Schon zu Beginn der Tour nach einem ersten Blick an den Strassenrand, wo effektiv alle 100-300m ein Tier liegt, wird einem bewusst wie viele Tiere hier vorkommen. Bereits in der ersten Nacht im Zelt wurde mir die grosse Ehre zuteil, einen Tasmanischen Teufel aus nächster Nähe sehen zu können. Nachts um 3 erwachte ich plötzlich, als aus meinem Vorzelt ein komisches Geräusch ertönte. Ich öffnete den Reissverschluss und meine Taschenlampe leuchtete direkt ins Gesicht des seltenen Teufels, in dessen Mund meine einzige Malzeit, ein Schinkenbrötchen, MEIN Schinkenbrötchen. Nach kurzem gegenseitigen verdutzt Anstarren suchte er das Weite. Noch zwei Teufel sah ich auf Maria Island, dem Paradies auf Erden für Tierfotografen schlechthin. Ein weiteres Tier, dass man anscheinend selten zu Gesicht kriegt ist der Wombat.

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Auf besagter Maria Insel im Osten Tasmaniens, inmitten eines gelben Grasfläche sah ich ihn zum ersten mal. Optisch wie ein Murmeltier, dass massiv übergewichtig ist und den Mund gefüllt hat mit einem Kilo Gras: DER WOMBAT. Ich näherte mich dem Tier langsam, keine Reaktion, also ging ich näher, noch immer keine Reaktion. Schlussendlich lief ich bis auf 3 Meter an den Wombat ran, der gerade mit seinen Krallen im Boden scharrte (Wombats leben in Höhlen und können bis zu 20m lange Tunnel graben).

Kein seltener Gast ist das Känguru und das kleinere Verwandte, das Wallaby. Für mich als Europäer ist bereits 1 Känguru was ganz Tolles, hier jedoch rennen tausende davon umher und leider auch sehr ungeschickt über die Strasse. An schönen Abenden, wenn die Sonne ins Gras scheint und man die Wallaby’s sieht, die langsam umher hüpfen, kommt man sich vor wie in einem kitschigen Film; Hier in Tasmanien ist dies jedoch Realität. Alle Tiere, die hier vorkommen sind für uns speziell - insbesondere der Ameisenigel - vereinfacht gesagt eine Mischung aus Ameisenbär und Igel ;-) (Bild unten)

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Als grosser Krykptozoologie-Fan geht mir jedoch ein Tier nicht aus dem Kopf; der Tasmanische Tiger. Der Beutelwolf war das mächtigste Landraubtier von Tasmanien und sorgte mit seiner Existenz für ein schönes Gleichgewicht. Die ersten europäischen Siedler jedoch erachteten ihn als Gefahr für ihre Schafe und sich selbst und so wurde die ganze Population ohne Rücksicht auf Verluste und die Umwelt ausgerottet. Das letzte Tier seiner Gattung starb 1936 in Gefangenschaft. Es gibt jedoch immer mal wieder Augenzeugenberichte, die besagen, den Tiger gesehen zu haben. Bislang blieb der Beweis jedoch aus. Wer wie ich durch die Nationalparks im Südwesten gefahren und gewandert ist und die Grösse und Wildheit dieser Natur mit eigenen Augen gesehen hat, der weiss, es besteht die Möglichkeit, wenn auch nur eine Geringe, dass der Tiger noch immer existiert. Hoffentlich begegnet ihm nie ein Mensch.

Landschaft Tasmaniens  
Da ich mich nebst der Tierwelt hauptsächlich für die Landschaftsfotografie interessiere, sind mir die geplanten Fotopunkte und deren Umsetzung besonders wichtig. Tasmanians Gebirge werden vom Doleritgestein dominiert, welches zu säulenartigen, basaltähnlichen Felsformationen führt und so Berge zum Vorschein kommen, wie man sie so nur an wenigen Orten findet. Im Tasmanischen Gebirge vorwärts zu kommen erfordert sehr viel Bergerfahrung, viel Ausdauer, Schwindelfreiheit und meist eine schwere Campingausrüstung, da die schönsten Punkte nur mit 2-8 Tagestouren erreichbar sind. Die Wälder, bestehend aus dem antarktischen Baumfarn, gewaltigen Eukalyptusbäumen und vielen weiteren Arten sind dicht und wunderschön. Die Küste ist harsch und teils mit hohen Klippen versehen, verläuft aber ab und an auch als paradiesischer Sandstrand mit schneeweissem Sand. Schon weit im Voraus habe ich auf Karten sämtliche relevanten Fotopunkte eingezeichnet und arbeite nun einen Punkt am anderen ab. Auch hier habe ich Tasmanien unterschätzt. Die Landschaft ist bedeutend wilder und unwegsamer als ich mir je erträumt hätte und so kann es sein, dass man für eine Wegstrecke von gerade einmal 6km gut und gerne 3-4 Stunden unterwegs ist. Die Tasmanier nennen das „Bushwalking“ - Ich nenne das „Felsklettern-Hautaufreissen-DornenausderHautzupfen“. Seit ich hier bin, sind meine Wanderschuhe total nass (auch wenn sie am Mittag wieder trocknen), sämtliche T-Shirts zerrissen und durchlöchert, die Haut darunter blutig und die Füsse wund vom vielen Laufen, ABER und das ist das Wichtigste, mein Fotografenherz blüht so fest auf wie schon seit Jahren nicht mehr. Alle Punkte, die nur mit längeren Fussmärschen von plus 2 Stunden erreichbar sind, sind total verlassen. 99% aller Touristen reisen den Punkten entlang der Hauptstrasse nach und die wirklich schönen Punkte bleiben somit trotz grossen Touristenmengen verschont.

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Training
Der wichtigste Grund, nach Tasmanien zu kommen war für mich nebst dem Rekkognoszieren für eine Fotoreise vor allem EIN Punkt, weit im südlichen Gebirgen liegend. Gesehen habe ich diesen Ort zum ersten Mal vom äusserst begnateten Fotografen-Paar Popp & Hackner (Österreich). Da der besagte Ort nicht genannt oder erwähnt werden darf, machte ich mich auf die Suche nach einem Ortsansässigen „Bushwalker“, der mich dorthin bringen würde. Von 20 Leuten, die ich angefragt habe, kannten 15 den Ort nicht und 4 sagten, sie würden niemanden dort hinnehmen, da es ihnen zu riskant sei. Einer von all denen sagte mir zu, jedoch nur unter dem Vorbehalt ich würde auf den Tag hintrainieren.
Aus dem Training wurde aufgrund des Buchprojekts, der Ferienmesse sowie der neuen Website nichts und ich kam mehr oder weniger körperlich unvorbereitet in Tasmanien an. Also hiess es die ersten 4 Tage „Training“. Am ersten Tag trug ich den Rucksack mit Zelt, Schlafsack, Matte, extra viel Wasser, etc. 11km weit. Am zweiten Tag 6km. Am Dritten Tag 14km und am vierten Tag noch einmal 8km. Spontanes Schnell-Training, wie man sagen würde ;-)

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Von der Hölle ins Paradies 
Nach vier Tagen Training (lächerlich) und praktisch null Schlaf traf ich mich dann mit dem Bergführer in Hobart zum Ausrüstungscheck. Mein 100l Rucksack lag schon bereit, mit Proviant, Kälteschlafsack, Regenausrüstung, etc. Hier wurde mir langsam bewusst auf was ich mich da eingelassen hatte. Nach einem feinen Abendessen (Indisch mit Känguru) ging es dann früh morgens los zum Ausgangspunkt. Nach rund 3 Stunden Fahrt setzten wir unsere rund 26kg schweren Rucksäcke auf und ich schnallte die Kamera um. In den ersten 4km mussten 600 Höhenmeter bewältigt werden, dann kam die erste steile Kletterpartie, bei der wir den schweren Rucksack über Felsen stemmen mussten und während 500 Metern satte 400 Höhenmeter zu Stande kamen. Die nächsten 4km gings mal hoch und runter, bis zum ersten Geröllfeld.

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Solche Dolerit-Geröllfelder sind bereits ohne Rucksack sehr schwierig zu durchwandern, aber mit Kamera und allem wirklich sehr anspruchsvoll. Nun kam vom Bergführer die Aussage, die mich killte. „Den einfachen Teil hätten wir. Die kommenden 4.5 Stunden habens dann in sich.“ Und so war es auch. 

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Zuerst 2 Stunden Geröllfelder, an sehr gefährlichen Abhängen, dann eine Stunde dichtes Buchwerk, dann eine gefährliche Kletterpartie teils fast senkrecht nach unten, bei der wir uns die Rucksäcke gegenseitig runtergeben mussten und dann noch ein rutschiger Abstieg, gefolgt von dichten Stachelbüschen und einem weiteren Aufstieg und wieder Abstieg und das insgesamt 6 mal - UND DANN stand ich da, an dem Ort meiner Träume und alle Schmerzen in den Beinen und im Rücken waren wie weggeblasen. Ich legte den Rucksack nieder, packte die Kameraausrüstung und die 2 Stunden bis Sonnenuntergang vergingen wie im Flug. Ich konnte nur noch Lachen vor Freude. Wir würden ganze 3 Tage hier bleiben und ich hätte genügend Zeit, alle Schönheiten des Tals zu erkunden und meinen Körper von der Tortur zu erholen; so der Plan. Zum ersten mal wurde mir bewusst, warum alle so verschwiegen waren und den Ort nicht nennen wollten. Wären hier täglich Leute, wenn auch nur ganz wenige, würde "der Garten" in Kürze niedergetrampelt und die über 1000 Jahr alten Cushing Plant Kissen wären Vergangenheit. Noch nie im Leben bin ich mit solcher Vorsicht durch die Natur gestapft, jeder einzelne Schritt tat mir im Herzen weh und ich war froh, dass der Weg hierher so extrem anstrengend und verborgen war, denn wäre er es nicht, wäre der Garten Eden längst dem Erdboden gleichgemacht. 

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Einige der wohl besten Bilder meines Lebens
Nach fast 10 Stunden, die uns die Kletter- und Krackselpartie ins Paradies gekostet hatte durfte ich 6 Stunden schlafen, bevor der Morgen aller Morgen begann. Bereits um 5 Uhr ging der Wecker los und ich machte mich in der Dunkelheit auf zum ersten der zwei Fotopunkte, die ich am Tag zuvor ausfindig gemacht hatte. In diesem "Garten" zu gehen ist äusserst schwierig, da der grösste Teil der Bodenfläche von seltenen, äusserst sensiblen Pflanzen bewachsen ist und man diese nicht betreten darf / will / soll. Es war bewölkt und der markante Berg (Name darf nicht genannt werden) im Hintergrund war in Wolken gehüllt. Die Wolken bewegten sich in einer gewaltigen Geschwindigkeit und so schien die Möglichkeit gross, dass der Gipfel zum Vorschein kommen würde. Ein Bild ohne diesen markanten Gipfel im Hintergrund würde nicht meinen Vorstellungen entsprechen. Dann begann die Show. Die Sonne verwandelte die Wölken in der Luft in brennende rote Feuer und der Vordergrund, bestehend aus einem der grössten und ältesten Cushing Plants der Erde begann zu leuchten. Mein Herz raste nur noch vor lauter Aufregung. Hätte ich mir wünschen können, wie der Sonnenaufgang sein sollte, hätte ich es wohl nicht so schön hingekriegt. Der zweite Fotospot lag 70m entfernt, also rannte ich, um die Cushing Plants rumzirkelnd zum zweiten Punkt und nach Kurzem wieder zum ersten. Meine wichtigste Fotografenregel ist; schöne Wetterstimmungen sind zu selten und einzigartig um sie mit dem immer gleichen Vordergrund abzulichten. Nach rund 45 Minuten war die Show vorbei und ich resignierte langsam aber sicher was ich da gesehen hatte. Ein Traum ging in Erfüllung. Nicht einmal die schlechte Nachricht des Bergführers, die mich im "Camp" erwartete, würde meine Laune nun trüben können. 

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Was wie normales Moos aussieht ist in Wirklichkeit eine der 3 ältesten und grössten Cushing Pflanzen der Erde. Millionen kleiner Pflänzchen die sich eng aneinanderschmiegen um den Witterungen des Winters zu trotzen. Die Pflanzen sind zwar hart wie Stein, man darf sie aber keinesfalls fest berühren. Nur dank dem dieser Ort so gut geschützt ist und so wenige Menschen den Weg herfinden, konnte dieses Wunder entstehen. 

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Der wohl schönste Ort der Erde wird durch die aufgehende Sonne zum absoluten Paradies. 

Die Flucht aus dem Paradies
Die Hiobsbotschaft kam per SMS. Eine Kaltfront war unterwegs zu uns, ursprünglich hätte sie Tasmanien verfehlen sollen, aber der Wind hatte andere Ideen. Eine Kaltfront mit vorhergesagtem Schneefall bis weit unterhalb wo wir waren, würde bedeuten, dass wir im Paradies gefangen sein würden. Über nasse Felsen und nasse Hänge 10 Stunden zurückzuklettern wäre zu riskant. So musste ich auf die 3 Tage im Tal, meinen Schlaf und die Erholung verzichten und wir brachen kurz nach einer der besten Fotosessionen meines Lebens wieder auf. Schon nach 4 Stunden hatten sich die Cyrruswolken am Himmel verdichtet und um die Sonne war eine deutliche Halo zu erkennen. Dann kam der starke Wind dazu und die Kletterpartie wurde immer schwieriger. Wie durch ein Wunder hatten die 6 Stunden Schlaf und der gewaltige Sonneaufgangstrip wohl gereicht, um meinen Körper vollends zu regenerieren, dann nach 11 Stunden (Abwärts bin ich langsamer) standen wir kurz vor der Dunkelheit vor meinem Camper, unmittelbar bevor der erste Regen den Boden berührte. Im Gepäck die wohl besten Bilder meines Lebens und das Herz Gross vor Freude und Dankbarkeit über die Gesunde Rückkehr. Wir hatten das Unmögliche geschafft. Eine 4 Tagestour in 36 Stunden. Nur etwas hatte mich die ganze Zeit beschäftigt; wenn ich den Leuten nach der Rückkehr die Bilder zeigen würde, sähe kaum jemand den Aufwand und die Arbeit die hinter den Bildern steckt. Der grösste Teil würde die Farben als kitschig und unecht bezeichnen, so viele Fotografen machen dies heute am Computer statt da draussen. Die Welt ist überbildert, schöne Bilder (ob echt oder im Photoshop zusammengebastelt) überschwemmen den Markt. Das einzelne Bild hat an Wert verloren und niemand ist mehr bereit, die geleistete Arbeit und das Risiko, dass hinter einer solchen Bilderstrecke liegt, richtig zu entlöhnen. Die Frage ist nun also, für WEN mache ich das überhaupt? Die Antwort ist sehr einfach; FÜR MICH! Als Erinnerung an eine der schönsten und zugleich härtesten Touren und Erlebnisse meines Lebens.

Stefan Forster